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Kochen für’s Gemeinwohl

Portait von Hugh Alderson im Hinterhof

In Hugh Aldersons Küche steht eine große grüne Plastiksteige randvoll gefüllt mit roten Äpfeln. Milchig schimmert der Himmel durch das Fenster. Aus seinem Keller bringt der große schlanke Mann mehrere Säcke Kartoffeln hoch. Es folgen ein Arm voller Schlangengurken, einige Stangen Lauch, mehrere Bunde Möhren, außerdem Radieschen, die Blätter sind schon matschig.

Es ist Samstag, an diesem Abend gibt es einen Soli-Filmabend bei der brasilianischen Fraueninitiative gegen Diskriminierung und Gewalt, Imbradiva, in Frankfurt. Hugh hat versprochen, für die rund 50 Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu kochen. Die vielen Lebensmittel, die sich inzwischen auf der Küchenzeile stapeln, hat er dafür allerdings nicht gekauft. Sie alle stammen aus Lebensmittelrettungen.

Lebensmittelverschwendung im großen Stil

2020 wurden allein in Deutschland rund 11 Millionen Tonnen Lebensmittel nur für den Mülleimer produziert. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Erhebung des Thünen-Institutes. Zwar schmeißen 59 Prozent der Lebensmittelabfälle die Verbraucherinnen und Verbraucher weg, doch 0,2 Prozent entstehen bei der Primärproduktion, 1,6 Millionen Tonnen bei der Verarbeitung und 0, 8 Millionen Tonnen im Handel. Weltweit landen jedes Jahr gigantische 931 Millionen Tonnen Lebensmittel laut Welthungerhilfe in Mülleimern. Gleichzeitig sind bis zu 828 Millionen Menschen unterernährt.

Kreativität und Flexibilität gehört dazu, will man aus geretteten Lebensmitteln für viele Menschen kochen. Denn nicht immer ist klar, welche Lebensmittel man erhält. Doch Hugh ist Koch. Gelernt hat er seinen Beruf in Australien, dem Land, in dem er geboren wurde. Später kochte er einige Jahre in London, inzwischen lebt er mit seiner Familie lange schon im Raum Frankfurt. Dort arbeitete er in verschiedenen Restaurants. „Ich fand es zum Beispiel immer schon komisch, dass wir auch in der Gastronomie so viel weggeworfen haben. Doch was man ändern könnte, wusste ich auch nicht so genau“, erzählt er. Heute weiß er es.

„Zu kochen hat auf einmal wieder Sinn gemacht“

2019 fragte ihn ein Bekannter, ob er Zeit hätte, gemeinsam mit anderen Ehrenamtlichen, für Demonstrierende der Umweltschutzbewegung Extinction Rebellion in Berlin zu kochen. Hugh sagte zu. „Damals wusste ich noch nicht, was eine KüfA ist“, erzählt er, „eine Küche für Alle, man kann etwas essen und man kann freiwillig spenden“, ergänzt er. „In Schichten haben wir drei Mal am Tag für 1000 Menschen gekocht.“ Alles vegan. „Zu Kochen hat auf einmal wieder Sinn gemacht“, sagt er lächelnd. „Nicht immer nur jeden Tag Schnitzel machen.“

2020 im Corona-Jahr kam er in Kontakt mit großen Mengen an geretteten Lebensmitteln. Eine Idee keimte in ihm auf: Warum daraus nicht kochen, vegan und inklusiv? 2021 gründete er das KüfA Kollektiv: „Food thats left“. Lebensmittel erhält er teilweise von Foodsavern, die sich bei Foosharing engagieren. Seit etwa zehn Jahren retten Ehrenamtliche des Vereins in Deutschland, Österreich und der Schweiz Lebensmittel und geben diese weiter.

Neben Brot werden vor allem Gemüse und Obst gerettet. Aus den Zutaten kocht Hugh Alderson dann beispielsweise Suppen.

Hughs Frau kommt die Treppe hoch mit einer durchsichtigen Plastikkiste, in der sich Quarkbällchen, Sesambrötchen, Kümmelstangen und Donuts stapeln. Im Flur hat sie einen Sack voller Brote und Baguettes abgestellt. „Ich könnte weinen, zu sehen, was für Unmengen an Brot weggeschmissen werden“, sagt Hugh bedauernd. Er steht in einem kleinen Vorratskeller, öffnet eine Gefriertruhe und deutet auf unzählige Brotleibe und Stangen. Paniermehl macht er daraus, vor allem aber brät er permanent Unmengen an Croutons. In Regalen lagern unzählige Marmeladengläser, selbst eingekocht, auf dem Boden steht ein großer Sack mit Fleischersatz-Geschnetzeltem, im Nachbarraum lagert Bier aus einer Testserie, neben der Treppe stapelt sich mehrere Umkartons Hafermilch. Die Reste einer Rettung im Sommer; 2500 Liter Hafermilch waren das. „Das war nur Überproduktion, die Milch war nicht einmal abgelaufen“, erzählt er.  In einem weiteren Kühlschrank ist von oben bis unten vollgepackt mit Soja-Produkten. Alles aus Rettungen.

Verteilen statt wegschmeißen: Foosharing

 „Diesen Überfluss zu sehen, das verändert den Blick auf Essen“, erklärt Hughs Frau.

Damit Hugh Alderson überall kochen kann, hat er eine mobile Küche. Oft kocht er auch im Hinterhof für anstehende Veranstaltungen.

Seit März ist sie Lebensmittelretterin. Mehrmals in der Woche fährt sie los, um in den Abendstunden Lebensmittel abzuholen, die sonst in Müllcontainern landen würden. Rund 300 Betriebe beteiligen sich allein in Frankfurt an der Lebensmittelrettung. 12690 Betriebe kooperieren im Jahr 2022 insgesamt mit Foodsharing. Täglich gibt es rund 5800 Rettungseinsätze. Die Lebensmittelretter und -retterinnen müssen dafür ihre eigenen Boxen mitbringen. Die Ware sortieren sie später und verteilen sie – oft läuft das über regionale Whatsapp-Gruppen. Die gerettete Ware geht dann zum Beispiel an Open Fridges, aus denen sich jeder bedienen kann, es wird auch an Bedürftige, an Freunde und Bekannte verteilt. „Foodsharing ist keine soziale Initiative, jeder kann Essen retten“, betont Hugh. „Hauptsache die Lebensmittel werden nicht weggeschmissen.“

Weil viele der Veranstaltungen draußen stattfinden, hat Hugh für die KüfA eine Art mobile Küche angeschafft. So kann er überall und direkt vor Ort kochen. Damit war er in den warmen Monaten fast dauernd unterwegs. Kochte für Camps, Demonstrierende, Schulkinder. Sogar die Oberurseler Bürgermeisterin und der Erste Stadtrat halfen schon dabei: Gemeinsam kochten sie aus gerettetem Gemüse Suppe, die dann gegen eine Spende auf dem Altstadtmarkt ausgeteilt wurde. Den Erlös spendeten sie an die Oberurseler Tafel. Für Hugh ist sein Engagement auch ein Stück Bildungsarbeit. „Ich möchte Positives mit Positivem verbinden“, sagt er. So könne man die Menschen für das Thema sensibilisieren aber auch Freude bringen.

Die Menschen kommen nicht ins Handeln

„Das Bewusstsein, dass Lebensmittel verschwendet oder einfach entsorgt werden, steigt zwar, doch es führt nicht dazu, dass die Menschen ins Handeln kommen“, sagt Dr. Benedikt Jahnke vom Fachbereich Ökologische Agrarwissenschaften an der Uni Kassel-Witzenhausen.

Im Rahmen eines Forschungsvorhabens untersuchte er, welche Maßnahmen ergriffen werden müssen, damit Verbraucherinnen und Verbraucher auch Lebensmittel mit Schönheitsfehlern kaufen. Sein Fazit: „Die Verbraucherinnen und Verbraucher sind optisch ansprechende Lebensmittel gewöhnt, das hat sich über viele Jahre etabliert. Nun müssen sie entwöhnt werden. Das ist ein langwieriger Prozess“.

Gefragt sind hier auch die Supermärkte: Die nämlich nehmen den Landwirten krumme Karotten beispielsweise erst gar nicht ab. Und weil die Landwirte diese Produkte nicht loswerden, werden sie oft einfach wieder umgepflügt. „Zwar gibt es keine repräsentativen Studien, aber zwischen einem Drittel bis zu 50 Prozent der angebauten Karotten pro Jahr erreichen den Handel erst gar nicht“, schätzt Jahnke. Doch nicht jeder Landwirt bringt es übers Herz, seine unter Mühsal angebaute Ernte zu vernichten: „Im Sommer haben wir 60 Kisten Kohlrabi von einem Landwirt abgeholt“, erzählt Hugh. Sie waren zu groß geraten. Um auf das Problem aufmerksam zu machen, wird er deshalb in wenigen Wochen einen Vortrag zum Thema „Change“ in einer Schule halten. „Es geht nicht mehr so sehr darum, was man gerne essen möchte, sondern auch, was gegessen werden muss und dass man satt ist“, findet er.

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