Wenn Nasima eine kleine Kurve mit dem Fahrrad fährt, schaut sie ernst und konzentriert aus. Sorajas Grinsen dagegen könnte kaum breiter sein, auch wenn das mit dem Fahrradfahren heute einfach nicht klappen will. Die beiden Frauen machen einen Kurs bei Bike Bridge Frankfurt.
Das gemeinnützige Projekt hat seine Wurzeln in Freiburg. Sein Ziel: Mädchen und Frauen mit Fluchterfahrung das Fahrradfahren beizubringen. Besonders in muslimischen Ländern ist das weiblichen Menschen oft nicht erlaubt. Der Kurs hat aber nicht nur die Funktion, sie mobiler und freier zu machen, sondern auch ihre Integration zu fördern und den kulturellen Austausch generell.
Bike Bridge Freiburg: Wo alles begann
Die Idee dazu kam Shahrzad Mohammai, die 2010 mit einem Studentinnenvisum nach Deutschland kam. Gemeinsam mit zwei Sportwissenschaftlerinnen entwickelten sie 2016 das Projekt. Inzwischen gibt es Bike Bridge-Angebote in vielen Städten, auch in Frankfurt. Drei Mal im Jahr bietet das Frankfurter Trainerinnen-Team Kurse an, 20 Ehrenamtliche bilden gemeinsam mit den Koordinatorinnen Franziska und Elisa das Team. Die Frauen, die sie unterrichten, leben zumeist in Flüchtlingsunterkünften. Nasima und Soraja lernen Fahrradfahren im weitläufigen Areal des Alten Flugplatzes Bonames. Die asphaltierte Landebahn zwischen weiten Feldern ist wie geschaffen zum Üben. „Im Regelfall sind bis zu zwölf Frauen in einem Kurs“, erklärt Franziska. In dem Sommerkurs sind weniger Frauen und heute ist neben Nasima und Soraja nur Huma zum Üben gekommen.
„Es ist Ferien-Zeit und manche Frauen finden auch keine Betreuung für ihre Kinder“, erzählt Franziska, während sie Soraja mit den Augen verfolgt. „Nicht auf den Boden gucken“, ruft sie ihr zu. Soraja grinst tapfer unter dem schiefen Helm hervor. „Angst spielt beim Fahrradfahrenlernen ein große Rolle, gerade am Anfang“, weiß Elisa. In Deutschland etwa ist es normal, als Kind Fahrradfahren zu lernen, irgendwie nebenbei. Doch was für viele Menschen spätestens im Erwachsenenalter selbstverständlich ist, ist tatsächlich ein komplexer Lernprozess, der geübt werden will. Deshalb steigen die Frauen zu Beginn des zehnstündigen Bike Bridge-Kurses auch zunächst auf Roller. So lernen die Frauen im ersten Schritt das Gleichgewicht zu halten. Dann kommen Laufräder, später wechseln alle auf Übungsräder.
„Huma fährt schon viel sicherer“, freut sich Elisa. Die junge Frau umfährt recht gelassen die bunten Hüte auf der Straße. Franziska nickt. „Ja, bei ihr klappt das schon richtig gut.“ Soraja sind derweil zwei Ehrenamtliche zu Hilfe geeilt. Sie schieben und halten, erklären und lächeln. An diesem Dienstag sind mehr Trainerinnen gekommen als Frauen. „Aber das ist ganz gut, so können wir uns abwechseln und noch besser helfen“, sagt Franziska.
Das Fahrrad: schenkt Unabhängigkeit
Wer nicht hilft, sitzt im freundlichen Abendlicht auf einer steinernen Bank, beobachtet das Treiben, plaudert ein wenig, genießt den Frieden. Alle Ehrenamtlichen sind berufstätig, schenken von ihrer Zeit, um einen gesellschaftlichen Beitrag zu leisten. Franziska etwa arbeitet in der Kommunikation, Elisa ist Grafikerin. Die Arbeit für Bike Bridge mögen sie sehr, es macht ihnen Freude zu sehen, wie die Frauen über die Wochen lernen, das Fahrrad zu beherrschen und damit ein Stück Unabhängigkeit gewinnen. Für den Unterricht hat der Verein ein Handbuch erarbeitet, auf dem der Unterricht fußt. „Doch alle Frauen sind anders“, weiß Franziska. „Wir passen die Einheiten auf die Bedürfnisse der Frauen an.“
Soraja springt vom Fahrrad. Die beiden Ehrenamtlichen, die bei ihr stehen, sind etwas ratlos. „Vielleicht sollte sie doch das andere Rad nehmen“, überlegt Elisa laut. „Das ist niedriger“. Die Fahrräder, die bei Bike Bridge Frankfurt benutzt werden, wurden allesamt gespendet. Im Frühjahr wurden sie im Rahmen einer Aktion fit gemacht und im Bike Bridge Frankfurt-Team ist glücklicherweise eine Fahrradtechnikerin. „Sie instand zu halten ist sehr aufwendig und kostet viel Zeit. Außerdem stellt sich im Winter immer die Frage nach der Unterbringung“, erklärt Franziska. Zuweilen helfen Kooperationspartner aus, dennoch ist die Wartung der Fahrräder ein Problem, das regelmäßig wieder auftaucht. Überhaupt braucht das Projekt viele helfende Hände, Spendengelder und Zeit.
Soraja hat das Fahrrad gewechselt. Der Sitz ist noch etwas niedriger, der Boden näher und das gibt Sicherheit, auch wenn das Fahrradfahren so viel schwieriger ist. Geht alles gut, werden die drei Frauen in wenigen Wochen allesamt fit genug sein, um eine Abschluss-Fahrrad-Tour mit anschließendem Picknick zu machen. „Das ist immer ein Highlight für alle. Jede bringt leckeres Essen mit, die Stimmung ist ausgelassen“, schwärmt Elisa. Ein wenig Zeit ist noch, um auch die Theorie zu büffeln, immerhin werden die Frauen in Zukunft auch im Straßenverkehr unterwegs sein.
Nasima nimmt für einen kleinen Moment eine Hand vom Lenker. „Auch das will gelernt sein, das Handzeichengeben“, sagt Franziska. Zu Beginn jeder Einheit wird auch ein wenig Gymnastik gemacht, denn es braucht nicht nur Gleichgewicht und Koordination, sondern auch etwas Muskelkraft. Zusätzlich wird ganz nebenbei etwas Theorie vermittelt.
Huma gönnt sich eine kleine Pause und hilft stattdessen Soraja. Zwar verstehen die Frauen Deutsch oft schon ganz gut, doch manchmal ist es einfacher, wenn etwas in der Muttersprache erklärt wird, in diesem Fall soll Huma die Anweisungen ins Afghanische übersetzen. Afghanistan, die Heimat, ist das Land, aus dem sie geflohen sind. Soraja soll nach vorne gucken, nicht auf den Boden. Sie soll fest in die Pedalen treten. Sich trauen. Huma nickt und übersetzt. Soraja nickt auch. Nasima ist inzwischen kaum noch zu sehen, sie hat den Parcours verlassen und ist gemächlich die Landebahn entlang geradelt. „Sie genießt die neu gewonnene Freiheit“, freut sich Franziska.
In größeren Gruppen kommen oft unterschiedliche Kulturen zusammen. Anfangs bleiben die Frauen aus ähnlichen Kulturkreisen zusammen, doch mit der Zeit, zwischen dem Lachen, Abspringen und wackeligem Geradele kommen sie sich näher, helfen sich gegenseitig, Gemeinschaft entsteht. „Das ist sehr schön zu sehen und bereichert auch uns“, sagt Franziska.
Dank Bike Bridge Frankfurt eine Zukunft auf dem eigenen Rad
Die Frauen, da sind sich die Ehrenamtlichen und Förderer von Bike Bridge Frankfurt einig, sollen aber nicht nur Fahrradfahren lernen. Sie sollen Fahrrad fahren, jeden Tag. Alleine oder mit ihren Familien. Und damit sie das können, erhalten sie am Ende des Kurses ein Fahrrad mit Helm und Schloss. 10 Euro kostet sie das. „Das Geld ist nur ein Symbol, als Zeichen, dass sie sich etwas erarbeitet haben“, erklärt Franziska. „Und das haben sie“. Es ist fast acht Uhr, der Kurs neigt sich dem Ende zu. „Zeit aufzuhören“, ruft Franziska. Huma stellt ihr Rad ab. Sie nimmt den Helm ab, rückt ihr hübsches Tuch zurecht, tupft sich den Schweiß von der Stirn mit einem Papiertuch. Nasima setzt sich zu den Ehrenamtlichen, schüttelt ihr Haar, dann steckt sie es hoch. Soraja stellt sich dazu. Tupft sich ebenfalls behutsam den Schweiß aus Nacken und von der Stirn.
Einige Einheiten haben die Frauen noch vor sich. Im September werden sie viel sicherer auf den Rädern sitzen. Auch Soraja. Sie werden die Theorie weitestgehend verinnerlicht haben. Die Sitze werden dann höhergestellt worden sein. Sie werden entspannt einen Arm ausstrecken, wenn sie abbiegen möchten. Sie werden durch die Landschaft radeln, den Blick nach vorne gerichtet. Sie werden den Fahrtwind genießen. Den gemeinsamen Ausflug in die Natur. Vielleicht unterhalten sie sich dabei. Und die ganze Gruppe wird wissen: Alle haben etwas vollbracht.
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