Die Corona-Pandemie hat den Strukturwandel der Innenstädte beschleunigt. Auch die Stadt Offenbach sucht nach Antworten. Und die sind beeindruckend kreativ.
Das 15-stöckige Rathaus im Zentrum der Offenbacher Innenstadt hebt sich am frühen Abend düster vom Himmel ab. Der geräumige Platz davor ist leer und still, ein kalter Wind streicht um die Ecken. Die filigrane barocke Turmspitze der evangelischen Stadtkirche wirkt fast ein wenig verloren so dicht an dem in brutalistischer Bauweise errichteten Hochhaus. Es ist gut, dass der Polizeiladen schräg gegenüber im vergangenen Jahr in Kartons verpackt wurde und aus dem gedrungenen Rathaus-Pavillon auszog. Nicht nur, weil ein Polizeiladen wenig attraktiv wirkt in solch exponierter Lage. Er zieht auch niemanden dorthin.
Viel besser klappt das mit einer heißen Schwarzwurzel-Blumenkohl-Cremesuppe mit Trüffelöl und frittiertem Salbei als Topping. Die Kreation stammt von einer Gruppe mit Namen „UND-Küche“. Die vier jungen Frauen und Männer bilden den Auftakt zur Kunstaktion „Soups“, zu der das Künstlerkollektiv YRD.Works im ehemaligen Polizeiladen eingeladen hat: An 15 Abenden kochen 15 Gastköche und -Köchinnen aus unterschiedlichen Offenbacher Szenen, Kulturen und Communitys in einer mobilen Küche und verteilen anschließend ihre Suppe kostenlos. Doch es sind nicht Bedürftige, an die sich die Aktion richtet, sondern alle Bürgerinnen und Bürger der Stadt Offenbach. Mit der Kunstaktion soll ein Anreiz geschaffen werden, damit sich wieder mehr Menschen in die Innenstadt aufmachen und dort aufhalten. Gefördert wird das Projekt durch das Landesprogramm “Zukunft Innenstadt” und von der “Agentur Mitte” der Stadt Offenbach.
Für die Kunstaktion „Soups“ wurde der Pavillon kurzerhand schwarz gestrichen und mit Sitzpodest rund um die Fensterfronten ausgekleidet. Kurz bevor die Suppe ausgeteilt wird, werden die mobilen Kücheneinheiten zur Seite geschoben. In der Pavillonmitte steht nun der Suppentopf, gezielt in Szene gesetzt durch einen Lichtspot. Schnell bildet sich eine Schlange. Auch Anna-Maria Rose stellt sich an. Die Kommunikationsdesignerin ist Projektmanagerin der Agentur Mitte der Wirtschaftsförderung Offenbach und hat mit ihr seit Oktober 2021 die Gesamtkoordination „Zukunftskonzept Innenstadt“ inne.
Offenbach: Eine Stadt erfindet sich neu
Ob in Regensburg, in Leipzig, in Mönchengladbach, in Frankfurt, in Hamburg oder in Offenbach: Die Corona-Pandemie hat den Strukturwandel der Innenstädte beschleunigt. Wie praktisch alle Städte in Deutschland kämpft auch die fünft größte hessische Stadt mit einer verödenden Innenstadt und leer stehenden Ladenflächen. Die Stadt zählt zu den internationalsten Deutschlands, rund 60 Prozent der Offenbacherinnen und Offenbacher haben einen Migrationshintergrund. Offenbach ist im Vergleich zum Bundesdurchschnitt eine junge Stadt mit eher niedriger Kaufkraft. Und in Offenbach ist besonders die Fußgängerzone Sorgenkind; statt inhabergeführter Fachgeschäfte prägen neuerdings vor allem Bäckerei-Ketten, Friseure, Fast Food, Nagelstudios und Billigklamotten-Ketten das Bild. „In Offenbach hat sich die Innenstadt in eine homogene Richtung entwickelt“, sagt Anna-Maria Rose. „Jetzt geht es auch darum, wieder mehr zu durchmischen.“
Freilich ist das nicht die einzige Maßnahme, die weit oben auf der To-do-Liste der Agentur steht. Schlussendlich geht es um nichts weniger als eine funktionierende Innenstadt, denn die alte hat als Option ausgedient. Nicht erst seit der Corona-Pandemie und den vielen Lockdowns. Und nicht nur in Offenbach. In ganz Deutschland. Um Innenstädte zu revitalisieren oder von Grund auf neu zu denken, haben Bund und Länder deshalb unlängst verschiedene Förderprogramme aufgelegt: Das Land Hessen etwa rief 2021 das Programm „Zukunft Innenstadt“ ins Leben, um die hessischen Städte bei der Bewältigung der Pandemiefolgen zu stärken und ihr durch innovative Konzepte entschieden entgegenzutreten. Mit der 2020 aktualisierten Leipziger Charta wurden zugleich drei wesentliche Handlungsdimensionen für die deutsche Stadtentwicklungspolitik formuliert: die gerechte Stadt, die grüne Stadt, die produktive Stadt.
Doch wie genau die Innenstadt der Zukunft aussehen und funktionieren wird mit Blick auf diese Schlagworte, darum wird im Norden wie im Süden, im Osten wie im Westen der Republik getüftelt und pilotiert. In Offenbach wurde jedenfalls gemeinsam mit dem Verein „Offenbach offensiv e. V“. sowie vielen Innenstadtakteuren und -akteurinnen und dem Planungsbüro Urbanista ein umfassendes Konzept für die Zukunft entwickelt: Es baut auf der These auf, dass eine Innenstadt in Zukunft nicht mehr alleine durch Handel funktioniert. Deshalb zielen viele der Konzept-Ideen zur neuen Innenstadt auch darauf ab, die Offenbachrinnen und Offenbacher mithilfe etwa von spannenden und hochwertigen kulturellen Aktionen regelmäßig in die Innenstadt zu locken und zum Verweilen einzuladen. Insgesamt 14 Zukunftskonzepte sollen ausloten, was möglich ist und was zieht, und der städtische Pavillon ist ein Testfeld dazu.
Künstlerische Impulse für Offenbach
Neben der mehrwöchigen Aktion „Soups“ fand in den vergangenen Monaten im 200 Quadratmeter großen Pavillon außerdem das Projekt „Radraum“ statt. Der temporäre Laden war ein Semesterprojekt der Hochschule für Gestaltung Offenbach, HFG, in dem sich alles um das Fahrrad dreht: Hier fanden Workshops statt, hier konnten Interessierte ihr Rad reparieren, hier traf man sich, tauschte sich aus, hing gemeinsam ab. Zusätzlich gab es im Radraum Vorträge, wurden Barabende initiiert und Fahrradausflüge geplant. Und auch das Kinder- und Jugendparlament konnte sich vor einigen Monaten im hinteren Teil des ehemaligen Polizeiladens mit Sofas und Tischen gemütlich machen und wird eine Weile lang selbstverwaltet den Raum nutzen. Für den Sommer ist der Ort als Ausstellungsraum angedacht. „Anders als bei anderen innerstädtischen Immobilien gehört der Pavillon der Stadt und das macht es leichter“, erklärt Rose. Die Immobilieneigentümer bei der innerstädtischen Transformation ins Boot zu holen, hält sie für eines der härtesten Bretter, das es zu bohren gilt. „Die Mieteinnahmen für die EGs waren zuletzt so hoch, dass oft keine Notwendigkeit mehr bestand, den Rest des Hauses zu vermieten. Hier muss sich etwas ändern“, erklärt sie.
Einer, der sich zumindest kurz ins Boot hat holen lassen, ist der neue Investor des Gründerzeithauses, in dem Jahrzehnte lang eine Offenbacher Familie ihr Juweliergeschäft hatte. Das mehrgeschossige Gebäude liegt nur wenige Minuten vom Rathaus-Pavillon entfernt und bietet Studierenden der Hochschule für Gestaltung rund um Professor Heiner Blum als temporäres Museum einen künstlerischen Toberaum inklusive des Original-Interieurs mit Glasvitrinen, Holzverkleidung und Stahltürgittern. Für die kommenden Monate nennt sich das sogenannte Museum of Urban Culture „Diamant“ und dort werden alle vierzehn Tage neue Ausstellungen zu unterschiedlichen Themen gezeigt, zur Anarchitektur beispielsweise.
Damit schaffen die Studierenden einen Ort für Begegnungen im kulturellen Kontext und das auf der Haupteinkaufsstraße der Stadt. „Alle Fußgängerzonen sehen immer gleich aus und es gibt wenig niedrigschwellige Angebote und darauf reagieren wir“, erklärt der künstlerische Mitarbeiter Jan Lotter. Das „Diamant“ kann besuchen, wer zufällig vorbeikommt, man kann dort kostenlos Kunst gucken, Kunst kaufen, Vorträge anhören oder sich einfach nur auf ein Bier treffen.
Spannend und lehrreich: Das Offenbacher Zukunftskonzept Innenstadt
Ebenso niedrigschwellig ist die Wetter- und Klimawerkstatt, die seit Sommer 2021 nun ihren festen Platz in der Offenbacher Innenstadt im neuen Rathaus-Plaza hat: Von den städtischen Ämtern für Kulturmanagement, Wirtschaftsförderung und dem Deutschen Wetterdienst ins Leben gerufen, soll sie Kinder, Familien und andere Interessierte auf unterhaltende Weise über Wetter, Wettergefahren, Klima und Klimaveränderung informieren. Gewünschter Nebeneffekt: Die Werkstatt soll die Stadt als deutsche Wetterstadt stärken, in Offenbach hat nämlich der Deutscher Wetterdienst, eine Bundesbehörde, seinen Sitz und die Stadt hat außerdem einen Wetterpark.
Das bedeutendste Tortenstück des Offenbacher Zukunftskonzeptes aber ist die „Station Mitte“, die neue Bibliothek der Stadt. Das Vorgängermodell liegt kaum 500 Meter entfernt vom Museum of Urban Culture und dem Rathaus-Pavillon im neobarockem Büsing Palais, laut Wikipedia eines der repräsentativsten Gebäude Offenbachs. Am frühen Nachmittag ist praktisch jeder Einzelarbeitsplatz im Bücherturm besetzt, im Jugendbereich sitzen Teenager mit großen Kopfhörern über ihre Hausaufgaben gebeugt, eine Seniorin stöbert nach Musik-CDS, eine Studentin möchte ihre Karte verlängern. Im Eingangsbereich steht ein abschließbares Regal, hier kann man mit der “Bibliothek der Dinge” Akkuschrauber, Hängematte, Zelt oder Laminiergerät ausleihen – ganz im Sinne der Sharing Economy und der Nachhaltigkeit. Die Dachterrasse „Grüne Oase“ mit grünem Kunstrasen und Liegenstühlen ist wetterbedingt geschlossen.
Die Innenstadt von morgen: Mehr Gemeinwohl, weniger Konsum
Und auch der sogenannte Makerspace ist heute zu: In dem Dachgeschoss können Interessierte immer mittwochs an 3D-Drucker, Schneideplotter und Strickmaschine kreativ werden und außerdem ihre Schallplatten oder Videokassetten digitalisieren. Auch wenn die Wände noch unzählige Bücher zieren: Die Bibliothek ist lange schon keine klassische Bibliothek mehr. „Ich würde mir auch einen anderen Namen wünschen“, sagt die Bibliotheks-Leiterin Nicole Köster. Teilhabe und Bildung zu ermöglichen war schon immer eine Aufgabe von Bibliotheken, sagt sie. Doch wie man diese beschafft, hat sich grundlegend verändert. Heute geht es auch um technisches Know-How und Bibliotheken haben eher beratende Aufgabe: Deshalb bietet die Bibliothek beispielsweise auch eine Smartphone-Sprechstunde an, lässt Vorträge für Eltern über Handy-Konsum halten, veranstaltet CR-Gaming-Treffs oder arrangiert für Schulklassen die Möglichkeit einen Podcast aufzunehmen. Zusätzlich würde die Bibliothek als Aufenthaltsort immer wichtiger, sagt Köster. Für das Projekt „Station Mitte“ und den Plan, die Stadtbibliothek in die Innenstadt zu verlagern, erhielt die Stadt Offenbach den Kommunalpreis und damit eine Million Euro aus dem Landesprogramm „Zukunft Innenstadt.“
Überzeugte die Jury: Das Offenbacher Konzept Zukunft Innenstadt
Was die Jury überzeugte, war der Gedanke, der mit der “Station Mitte” einhergeht: Die innerstädtische Bibliothek soll mit einer Größe dann von 4500 Quadratmetern der Stadtgesellschaft von morgen als zu Hause dienen. Die Vision: Die “Station Mitte“ wird ein öffentlicher Raum, an dem Bildung und soziales Miteinander rund um Bücher, digitale Medien und Kultur stattfinden. Im Herzen der Stadt kann man arbeiten, sich weiterbilden und austauschen, gemeinsam Essen gehen, Konzerte besuchen, den Tag verbringen, spielen und die Zeit vergessen. In dem neuen zentralen Treffpunkt bündeln Vereine, Bildungsträger und Initiativen aus der Region ihre Aktivitäten. Mit ihrer flexiblen Lernlandschaft, ihrem vielfältigen Programm und ihrem Standort in der Innenstadt spricht die Station Mitte zugleich viele neue Zielgruppen an. „Ganz konkret könnte beispielsweise ein Repair Café dort ebenso sein Platz erhalten wie eine feste Berufsberatung von der Arbeitsagentur, ein Café oder eine Fahrradwerkstatt“, erläutert Köster. Auf jeden Fall aber soll diese neue Bibliothek ein Ort für alle sein.
Anna-Maria Rose bei der Eröffnung von Soups.
Wie sich dieser Ort für alle anfühlen könnte, bekam die Offenbacher Stadtgesellschaft erstmals im Sommer 2022 zu spüren: Gemeinsam mit dem Verein „vair e.V“ schufen Studierende der Hochschule für Gestaltung das „UND international“: In einer ehemaligen Bank-Filiale, dem umliegenden Stadthof und dem angrenzenden Rathausfoyer wurde es an drei Tagen in der Woche zu einem gemeinsamen Ort, einer Art Wohnzimmer, für die Bürgerinnen und Bürger. In diesem Rahmen entstand zusätzlich ein Supermarkt, ein Kiosk, die „UND Küche“ sowie eine Bar: Im Ergebnis wurden 159 Veranstaltungen an insgesamt 34 Tagen mehrheitlich aus der Stadtgesellschaft rund um das städtische Wohnzimmer auf die Beine gestellt – es wurde getanzt, gefeiert, gekocht, gespielt, gegessen, gepflanzt. „Seitdem“, sagt Rose, „haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieser Aktion ein anderes Verständnis von Innenstadt.“ Es wurde begreifbar, was möglich ist. 2030 soll die Offenbacher Vision dieser neuen Innenstadt real sein. Bis dahin ist noch ein Weg zu gehen, weiß Rose.
In den kommenden Monaten soll sie Unterstützung erhalten: Dann werden zwei weitere Mitarbeitende der Agentur Mitte das Zukunftskonzept in der Innenstadt mit vorantreiben.
Der Radraum Offenbach geht bis Ende 2023 in Verlängerung. Infos darüber, was gerade im Pavillon läuft, findet man hier: like.Offenbach
Die Corona-Pandemie hat den Strukturwandel der Innenstädte beschleunigt. Auch die Stadt Offenbach sucht nach Antworten. Und die sind beeindruckend kreativ.
Das 15-stöckige Rathaus im Zentrum der Offenbacher Innenstadt hebt sich am frühen Abend düster vom Himmel ab. Der geräumige Platz davor ist leer und still, ein kalter Wind streicht um die Ecken. Die filigrane barocke Turmspitze der evangelischen Stadtkirche wirkt fast ein wenig verloren so dicht an dem in brutalistischer Bauweise errichteten Hochhaus. Es ist gut, dass der Polizeiladen schräg gegenüber im vergangenen Jahr in Kartons verpackt wurde und aus dem gedrungenen Rathaus-Pavillon auszog. Nicht nur, weil ein Polizeiladen wenig attraktiv wirkt in solch exponierter Lage. Er zieht auch niemanden dorthin.
Viel besser klappt das mit einer heißen Schwarzwurzel-Blumenkohl-Cremesuppe mit Trüffelöl und frittiertem Salbei als Topping. Die Kreation stammt von einer Gruppe mit Namen „UND-Küche“. Die vier jungen Frauen und Männer bilden den Auftakt zur Kunstaktion „Soups“, zu der das Künstlerkollektiv YRD.Works im ehemaligen Polizeiladen eingeladen hat: An 15 Abenden kochen 15 Gastköche und -Köchinnen aus unterschiedlichen Offenbacher Szenen, Kulturen und Communitys in einer mobilen Küche und verteilen anschließend ihre Suppe kostenlos. Doch es sind nicht Bedürftige, an die sich die Aktion richtet, sondern alle Bürgerinnen und Bürger der Stadt Offenbach. Mit der Kunstaktion soll ein Anreiz geschaffen werden, damit sich wieder mehr Menschen in die Innenstadt aufmachen und dort aufhalten. Gefördert wird das Projekt durch das Landesprogramm “Zukunft Innenstadt” und von der “Agentur Mitte” der Stadt Offenbach.
Für die Kunstaktion „Soups“ wurde der Pavillon kurzerhand schwarz gestrichen und mit Sitzpodest rund um die Fensterfronten ausgekleidet. Kurz bevor die Suppe ausgeteilt wird, werden die mobilen Kücheneinheiten zur Seite geschoben. In der Pavillonmitte steht nun der Suppentopf, gezielt in Szene gesetzt durch einen Lichtspot. Schnell bildet sich eine Schlange. Auch Anna-Maria Rose stellt sich an. Die Kommunikationsdesignerin ist Projektmanagerin der Agentur Mitte der Wirtschaftsförderung Offenbach und hat mit ihr seit Oktober 2021 die Gesamtkoordination „Zukunftskonzept Innenstadt“ inne.
Offenbach: Eine Stadt erfindet sich neu
Ob in Regensburg, in Leipzig, in Mönchengladbach, in Frankfurt, in Hamburg oder in Offenbach: Die Corona-Pandemie hat den Strukturwandel der Innenstädte beschleunigt. Wie praktisch alle Städte in Deutschland kämpft auch die fünft größte hessische Stadt mit einer verödenden Innenstadt und leer stehenden Ladenflächen. Die Stadt zählt zu den internationalsten Deutschlands, rund 60 Prozent der Offenbacherinnen und Offenbacher haben einen Migrationshintergrund. Offenbach ist im Vergleich zum Bundesdurchschnitt eine junge Stadt mit eher niedriger Kaufkraft. Und in Offenbach ist besonders die Fußgängerzone Sorgenkind; statt inhabergeführter Fachgeschäfte prägen neuerdings vor allem Bäckerei-Ketten, Friseure, Fast Food, Nagelstudios und Billigklamotten-Ketten das Bild. „In Offenbach hat sich die Innenstadt in eine homogene Richtung entwickelt“, sagt Anna-Maria Rose. „Jetzt geht es auch darum, wieder mehr zu durchmischen.“
Freilich ist das nicht die einzige Maßnahme, die weit oben auf der To-do-Liste der Agentur steht. Schlussendlich geht es um nichts weniger als eine funktionierende Innenstadt, denn die alte hat als Option ausgedient. Nicht erst seit der Corona-Pandemie und den vielen Lockdowns. Und nicht nur in Offenbach. In ganz Deutschland. Um Innenstädte zu revitalisieren oder von Grund auf neu zu denken, haben Bund und Länder deshalb unlängst verschiedene Förderprogramme aufgelegt: Das Land Hessen etwa rief 2021 das Programm „Zukunft Innenstadt“ ins Leben, um die hessischen Städte bei der Bewältigung der Pandemiefolgen zu stärken und ihr durch innovative Konzepte entschieden entgegenzutreten. Mit der 2020 aktualisierten Leipziger Charta wurden zugleich drei wesentliche Handlungsdimensionen für die deutsche Stadtentwicklungspolitik formuliert: die gerechte Stadt, die grüne Stadt, die produktive Stadt.
Doch wie genau die Innenstadt der Zukunft aussehen und funktionieren wird mit Blick auf diese Schlagworte, darum wird im Norden wie im Süden, im Osten wie im Westen der Republik getüftelt und pilotiert. In Offenbach wurde jedenfalls gemeinsam mit dem Verein „Offenbach offensiv e. V“. sowie vielen Innenstadtakteuren und -akteurinnen und dem Planungsbüro Urbanista ein umfassendes Konzept für die Zukunft entwickelt: Es baut auf der These auf, dass eine Innenstadt in Zukunft nicht mehr alleine durch Handel funktioniert. Deshalb zielen viele der Konzept-Ideen zur neuen Innenstadt auch darauf ab, die Offenbachrinnen und Offenbacher mithilfe etwa von spannenden und hochwertigen kulturellen Aktionen regelmäßig in die Innenstadt zu locken und zum Verweilen einzuladen. Insgesamt 14 Zukunftskonzepte sollen ausloten, was möglich ist und was zieht, und der städtische Pavillon ist ein Testfeld dazu.
Künstlerische Impulse für Offenbach
Neben der mehrwöchigen Aktion „Soups“ fand in den vergangenen Monaten im 200 Quadratmeter großen Pavillon außerdem das Projekt „Radraum“ statt. Der temporäre Laden war ein Semesterprojekt der Hochschule für Gestaltung Offenbach, HFG, in dem sich alles um das Fahrrad dreht: Hier fanden Workshops statt, hier konnten Interessierte ihr Rad reparieren, hier traf man sich, tauschte sich aus, hing gemeinsam ab. Zusätzlich gab es im Radraum Vorträge, wurden Barabende initiiert und Fahrradausflüge geplant. Und auch das Kinder- und Jugendparlament konnte sich vor einigen Monaten im hinteren Teil des ehemaligen Polizeiladens mit Sofas und Tischen gemütlich machen und wird eine Weile lang selbstverwaltet den Raum nutzen. Für den Sommer ist der Ort als Ausstellungsraum angedacht. „Anders als bei anderen innerstädtischen Immobilien gehört der Pavillon der Stadt und das macht es leichter“, erklärt Rose. Die Immobilieneigentümer bei der innerstädtischen Transformation ins Boot zu holen, hält sie für eines der härtesten Bretter, das es zu bohren gilt. „Die Mieteinnahmen für die EGs waren zuletzt so hoch, dass oft keine Notwendigkeit mehr bestand, den Rest des Hauses zu vermieten. Hier muss sich etwas ändern“, erklärt sie.
Einer, der sich zumindest kurz ins Boot hat holen lassen, ist der neue Investor des Gründerzeithauses, in dem Jahrzehnte lang eine Offenbacher Familie ihr Juweliergeschäft hatte. Das mehrgeschossige Gebäude liegt nur wenige Minuten vom Rathaus-Pavillon entfernt und bietet Studierenden der Hochschule für Gestaltung rund um Professor Heiner Blum als temporäres Museum einen künstlerischen Toberaum inklusive des Original-Interieurs mit Glasvitrinen, Holzverkleidung und Stahltürgittern. Für die kommenden Monate nennt sich das sogenannte Museum of Urban Culture „Diamant“ und dort werden alle vierzehn Tage neue Ausstellungen zu unterschiedlichen Themen gezeigt, zur Anarchitektur beispielsweise.
Damit schaffen die Studierenden einen Ort für Begegnungen im kulturellen Kontext und das auf der Haupteinkaufsstraße der Stadt. „Alle Fußgängerzonen sehen immer gleich aus und es gibt wenig niedrigschwellige Angebote und darauf reagieren wir“, erklärt der künstlerische Mitarbeiter Jan Lotter. Das „Diamant“ kann besuchen, wer zufällig vorbeikommt, man kann dort kostenlos Kunst gucken, Kunst kaufen, Vorträge anhören oder sich einfach nur auf ein Bier treffen.
Spannend und lehrreich: Das Offenbacher Zukunftskonzept Innenstadt
Ebenso niedrigschwellig ist die Wetter- und Klimawerkstatt, die seit Sommer 2021 nun ihren festen Platz in der Offenbacher Innenstadt im neuen Rathaus-Plaza hat: Von den städtischen Ämtern für Kulturmanagement, Wirtschaftsförderung und dem Deutschen Wetterdienst ins Leben gerufen, soll sie Kinder, Familien und andere Interessierte auf unterhaltende Weise über Wetter, Wettergefahren, Klima und Klimaveränderung informieren. Gewünschter Nebeneffekt: Die Werkstatt soll die Stadt als deutsche Wetterstadt stärken, in Offenbach hat nämlich der Deutscher Wetterdienst, eine Bundesbehörde, seinen Sitz und die Stadt hat außerdem einen Wetterpark.
Das bedeutendste Tortenstück des Offenbacher Zukunftskonzeptes aber ist die „Station Mitte“, die neue Bibliothek der Stadt. Das Vorgängermodell liegt kaum 500 Meter entfernt vom Museum of Urban Culture und dem Rathaus-Pavillon im neobarockem Büsing Palais, laut Wikipedia eines der repräsentativsten Gebäude Offenbachs. Am frühen Nachmittag ist praktisch jeder Einzelarbeitsplatz im Bücherturm besetzt, im Jugendbereich sitzen Teenager mit großen Kopfhörern über ihre Hausaufgaben gebeugt, eine Seniorin stöbert nach Musik-CDS, eine Studentin möchte ihre Karte verlängern. Im Eingangsbereich steht ein abschließbares Regal, hier kann man mit der “Bibliothek der Dinge” Akkuschrauber, Hängematte, Zelt oder Laminiergerät ausleihen – ganz im Sinne der Sharing Economy und der Nachhaltigkeit. Die Dachterrasse „Grüne Oase“ mit grünem Kunstrasen und Liegenstühlen ist wetterbedingt geschlossen.
Die Innenstadt von morgen: Mehr Gemeinwohl, weniger Konsum
Und auch der sogenannte Makerspace ist heute zu: In dem Dachgeschoss können Interessierte immer mittwochs an 3D-Drucker, Schneideplotter und Strickmaschine kreativ werden und außerdem ihre Schallplatten oder Videokassetten digitalisieren. Auch wenn die Wände noch unzählige Bücher zieren: Die Bibliothek ist lange schon keine klassische Bibliothek mehr. „Ich würde mir auch einen anderen Namen wünschen“, sagt die Bibliotheks-Leiterin Nicole Köster. Teilhabe und Bildung zu ermöglichen war schon immer eine Aufgabe von Bibliotheken, sagt sie. Doch wie man diese beschafft, hat sich grundlegend verändert. Heute geht es auch um technisches Know-How und Bibliotheken haben eher beratende Aufgabe: Deshalb bietet die Bibliothek beispielsweise auch eine Smartphone-Sprechstunde an, lässt Vorträge für Eltern über Handy-Konsum halten, veranstaltet CR-Gaming-Treffs oder arrangiert für Schulklassen die Möglichkeit einen Podcast aufzunehmen. Zusätzlich würde die Bibliothek als Aufenthaltsort immer wichtiger, sagt Köster. Für das Projekt „Station Mitte“ und den Plan, die Stadtbibliothek in die Innenstadt zu verlagern, erhielt die Stadt Offenbach den Kommunalpreis und damit eine Million Euro aus dem Landesprogramm „Zukunft Innenstadt.“
Überzeugte die Jury: Das Offenbacher Konzept Zukunft Innenstadt
Was die Jury überzeugte, war der Gedanke, der mit der “Station Mitte” einhergeht: Die innerstädtische Bibliothek soll mit einer Größe dann von 4500 Quadratmetern der Stadtgesellschaft von morgen als zu Hause dienen. Die Vision: Die “Station Mitte“ wird ein öffentlicher Raum, an dem Bildung und soziales Miteinander rund um Bücher, digitale Medien und Kultur stattfinden. Im Herzen der Stadt kann man arbeiten, sich weiterbilden und austauschen, gemeinsam Essen gehen, Konzerte besuchen, den Tag verbringen, spielen und die Zeit vergessen. In dem neuen zentralen Treffpunkt bündeln Vereine, Bildungsträger und Initiativen aus der Region ihre Aktivitäten. Mit ihrer flexiblen Lernlandschaft, ihrem vielfältigen Programm und ihrem Standort in der Innenstadt spricht die Station Mitte zugleich viele neue Zielgruppen an. „Ganz konkret könnte beispielsweise ein Repair Café dort ebenso sein Platz erhalten wie eine feste Berufsberatung von der Arbeitsagentur, ein Café oder eine Fahrradwerkstatt“, erläutert Köster. Auf jeden Fall aber soll diese neue Bibliothek ein Ort für alle sein.
Wie sich dieser Ort für alle anfühlen könnte, bekam die Offenbacher Stadtgesellschaft erstmals im Sommer 2022 zu spüren: Gemeinsam mit dem Verein „vair e.V“ schufen Studierende der Hochschule für Gestaltung das „UND international“: In einer ehemaligen Bank-Filiale, dem umliegenden Stadthof und dem angrenzenden Rathausfoyer wurde es an drei Tagen in der Woche zu einem gemeinsamen Ort, einer Art Wohnzimmer, für die Bürgerinnen und Bürger. In diesem Rahmen entstand zusätzlich ein Supermarkt, ein Kiosk, die „UND Küche“ sowie eine Bar: Im Ergebnis wurden 159 Veranstaltungen an insgesamt 34 Tagen mehrheitlich aus der Stadtgesellschaft rund um das städtische Wohnzimmer auf die Beine gestellt – es wurde getanzt, gefeiert, gekocht, gespielt, gegessen, gepflanzt. „Seitdem“, sagt Rose, „haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieser Aktion ein anderes Verständnis von Innenstadt.“ Es wurde begreifbar, was möglich ist. 2030 soll die Offenbacher Vision dieser neuen Innenstadt real sein. Bis dahin ist noch ein Weg zu gehen, weiß Rose.
In den kommenden Monaten soll sie Unterstützung erhalten: Dann werden zwei weitere Mitarbeitende der Agentur Mitte das Zukunftskonzept in der Innenstadt mit vorantreiben.
Der Radraum Offenbach geht bis Ende 2023 in Verlängerung. Infos darüber, was gerade im Pavillon läuft, findet man hier: like.Offenbach
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